Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt»

Die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (verkürzt «Konzernverantwortungsinitiative» oder KOVI), die im November 2020 zur Abstimmung kommt, tangiert zentrale Themen, mit denen sich das Netzwerk beschäftigt. Die nachfolgenden Informationen sind als Meinungsbildungsgrundlage ohne eine politische Ausrichtung aufbereitet.

Worum geht es?

International tätige Konzerne mit Sitz in der Schweiz sollen gemäss der Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» sicherstellen, dass bei ihren Geschäften Menschenrechte respektiert und international gültige Umweltstandards eingehalten werden.

Was bezweckt die Initiative?

Kernanliegen der sogenannten «Konzernverantwortungsinitiative» ist die rechtliche Verankerung der Sorgfaltspflicht (Due Diligence) für international tätige Unternehmen mit Firmensitz in der Schweiz und für ihre Tochterfirmen beziehungsweise die von ihnen kontrollierten Unternehmen im Ausland. Ihre Sorgfaltspflicht soll auf die Einhaltung der international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards explizit ausgeweitet werden.

Gemäss Obligationenrecht müssen Verwaltungsratsmitglieder und mit der Geschäftsführung beauftragte Personen zwar schon heute «ihre Aufgaben mit aller Sorgfalt erfüllen und die Interessen der Gesellschaft in guten Treuen wahren» (Art. 717 OR). Zudem sind sie «sowohl der Gesellschaft als auch den einzelnen Aktionären und Gesellschaftsgläubigern [gegenüber] für den Schaden verantwortlich, den sie durch absichtliche oder fahrlässige Verletzung ihrer Pflichten verursachen.» (Art. 754 OR). Ausserfinanzielle Belange wie die Respektierung der Menschenrechte, der Umwelt oder der Anliegen betroffener Bevölkerungsgruppen erwähnt das Gesetz jedoch nicht.

Die Initianten der Konzernverantwortungsinitiative beziehen sich in ihrer Argumentation auf die Standards der Sorgfaltsprüfung, wie sie in den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie in den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen formuliert stehen.

Was ändert die Initiative?

Konzerne sollen für Menschenrechtsverletzungen und angerichteten Umweltschaden haften, die sie oder ihre Tochterfirmen verursachen. Geschädigte Menschen im Ausland können dann in der Schweiz eine Zivilklage einreichen und Schadenersatz für den erlittenen Schaden einfordern. Die Beweislast liegt bei der geschädigten Person. Dabei muss sie den Schaden und den Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Geschäftsgebaren des angeklagten Unternehmens nachweisen. Zudem muss sie aufzeigen, dass der Konzern mit dem Sitz in der Schweiz die entsprechende Firma im Ausland kontrolliert.

Wie kann sich ein Unternehmen von der Haftung befreien?

Der angeklagte Konzern kann von der Haftung befreit werden, wenn er nachweisen kann, dass er die Verantwortung (Sorgfaltspflicht) gegenüber seiner Tochterfirma wahrgenommen und alle nötigen Kontrollen durchgeführt hat.

Welche Menschenrechte müssen Konzerne im Sinne der Initiative respektieren?

Laut Initiativtext müssen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz die international anerkannten Menschenrechte auch im Ausland respektieren. Diese umfassen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und explizit:

  • den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte
  • den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
  • die acht Kernübereinkommen der International Labour Organization (ILO)
Welche Umweltstandards müssen Konzerne im Sinne der Initiative respektieren?

Hier handelt es sich um internationale Standards, wie sie im Völkerrecht definiert worden sind (zum Beispiel das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährliche Abfälle und ihrer Entsorgung), Richtlinien internationaler Organisationen sowie überstaatliche Standards (zum Beispiel ISO-Standards).

Für wen gilt die Konzernverantwortungsinitiative?

Laut Komitee kommt die angenommene Initiative bei rund 1'500 Konzernen zur Anwendung. KMUs bis 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind von der Initiative ausgenommen, ausser sie sind in Hochrisiko-Sektoren tätig (Rohstoffabbau, Gold- oder Tropenholzhandel u.ä.). Befürworter und Gegner der Initiative streiten jedoch intensiv über die Folgen der Initiative für die KMUs, die in die Lieferketten eingebunden sind. Laut den Gegnern der Initiative kann von einer generellen Entlastung der KMUs nicht gesprochen werden: Auch die KMUs würden haften.

Von wem wird die Initiative unterstützt?

Hinter der Initiative stehen über 100 Hilfswerke, Frauen-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen, zudem zahlreiche kirchliche und gewerkschaftliche Vereinigungen und Aktionärsverbände. Auch das Wirtschaftskomitee für verantwortungsvolle Unternehmen [nicht zu verwechseln mit dem Netzwerk «Unternehmen Verantwortung»], das Bürgerliche Komitee für Konzernverantwortung sowie zahlreiche Lokalkomitees unterstützen die Initiative.

Welche Argumente führen die Befürworter auf?
  • Die Initiative fordert: Wer Schaden anrichtet, soll dafür haften
  • Verantwortungslose Konzerne verschaffen sich heute einen Wettbewerbsvorteil gegenüber jenen, die Umweltstandards und Menschenrechte respektieren
  • Die Schweiz ist das einzige europäische Land, das keine Regelung in diesem Bereich kennt
Wer lehnt die Initiative ab?

Zu den Gegnern der Initiative gehören unter anderem das Parlament und der Bundesrat, der Wirtschaftsverband Economiesuisse, der Konzernverband SwissHoldings, der Schweizerische Arbeitgeberverband, zudem zahlreiche weitere Akteure der Wirtschaftspolitik.

Welche Argumente führen die Gegner auf?
  • Die Unternehmen werden durch bürokratischen Aufwand und unnötige Verrechtlichung zusätzlich belastet
  • Die Initiative tangiert nicht nur Konzerne, sondern auch KMUs
  • Der Wirtschaftsstandort Schweiz wird geschwächt
Was passiert, wenn die Initiative abgelehnt wird?

Der Bundesrat sowie zahlreiche Wirtschaftsverbände unterstützen den indirekten Gegenvorschlag des Parlaments. Dieser tritt nur in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird und auch ein allfälliges Referendum gegen diesen Gegenvorschlag scheitert.

Was sieht der indirekte Gegenvorschlag vor?

Der indirekte Gegenvorschlag unterscheidet sich von der Volksinitiative in:

  • Anwendungsbereich: Der Gegenvorschlag gilt für Publikumsgesellschaften sowie für Finanzinstitute ab 500 Mitarbeitenden oder einer Bilanzsumme von über 20 Millionen Franken (oder einem Umsatzerlös von über 40 Millionen Franken).
  • Rechenschaftspflicht: Die Unternehmen unterliegen einer Berichterstattungs-, aber nicht Sorgfaltspflicht. Ausnahmen: begründeter Verdacht auf Kinderarbeit sowie Abbau/Verarbeitung/Handel mit Konfliktmineralien
  • Haftung: Keine Konzernhaftung des Schweizer Unternehmens bei Fehlverhalten von Tochterunternehmen oder Zulieferern
  • Sanktionen: Bussen bei Verletzung der Pflichten

 

Pro und Contra aus wirtschaftsethischer Sicht

Pro: Zum Artikel von Prof. em. Dr. Peter Ulrich, emeritierter Ordinarius für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen (HSG) hier